12.3.1 Besonderheiten beim si impersonale

Beim si impersonale gibt es nun einige Besonderheiten zu beachten, die obendrein verwirrend sind. Wir haben oben festgestellt, dass das si impersonale im Grunde überhaupt kein Reflexivpronomen ist, sondern Subjekt des Satzes, ein Indefinita. Man hätte also, rein logisch gesehen, überhaupt keinen Anlass, es als Reflexivpronomen zu behandeln, genau dies geschieht aber.

Wir erinnern uns. Bei reflexiver Verwendung eines Verbes werden die zusammengesetzten Zeiten immer mit essere gebildet.

Beispiel  
a) Lui ha lavato la macchina. Er hat das Auto gewaschen.
  aber
b) Lui si è lavato la faccia. Er hat sich das Gesicht gewaschen.

Soweit so gut, bei b) ist "si" ein Reflexivpronomen und bei reflexiv verwendeten Verben werden nun mal die zusammengesetzten Zeiten mit essere gebildet. Beim si passivante haben wir ein echtes Reflexivpronomen und folglich wird mit essere konjugiert.

Beispiel  
Si sono letti molti libri. Man las viele Bücher.

Anders verhält es sich beim si impersonale. Beim si impersonale haben wir kein Reflexivpronomen, das si des si impersonale bedeutet schlicht "man", es gäbe also keinen Grund mit essere zu konstruieren, genau dies wird aber getan, weil das si impersonale und das si passivante, obwohl es sich im Grunde aus grammatikalischer Sicht um zwei völlig unterschiedliche Dinge handelt, doch als ähnlich empfunden werden. Es heißt folglich in den zusammengesetzten Zeiten:

Beispiel  
Si è parlato molto di questa storia. Man sprach viel über diese Geschichte.
Non si è capito ciò che voleva. Man verstand nicht, was er wollte.

Weiter ist beim si impersonale zu beachten, dass das Prädikatsnomen anzupassen ist, WENN DAS VERB NORMALERWEISE MIT ESSERE KONJUGIERT WIRD. Egal ob es sich um ein Adjektiv / Substantiv handelt (essere ist dann ein Kopulaverb) oder um ein Partizip Perfekt, das Prädikatsnomen ist in diesem Fall anzupassen und da das si des si impersonale sich im Grunde auf einen Plural bezieht, muss das Prädikatsnomen in Genus und Numerus mit einem hypothetisch angenommenen Subjekt übereinstimmen, das männlich und Plural ist, also auf i enden.

Beispiele  
Si è arrivati presto. Man ist früh angekommen.
Si è partiti quando si era stanchi. Man ging, wenn man müde war.
Si era ubriachi dopo avere bevuto soltanto un bicchiere. Man war schon nach einem Glas betrunken.

Wir merken uns also ganz pragmatisch, dass das Prädikatsnomen beim si impersonale flektiert wird, immer auf Plural, denn "man" sind mehrere und meistens männlich, denn ein paar Männer sind immer unter den "mans".
(Denken Sie jetzt nicht über das Spanische nach, das ist eine andere Liga, im Spanischen werden auch reflexive Verben mit haber / avere konjugiert, folglich stellt sich das Problem gar nicht.)

Bezieht sich das si (man) des si impersonale jedoch eindeutig auf Frauen, sind also alle "mans" weiblich, dann ändert sich auch die Flexion des participio passato, es wird dann weiblich / plural und nicht männlich / plural gewählt, also e und nicht i.

Beispiel 
Quando si è bambine si è affascinate delle bambole.
Wenn man ein Mädchen ist, ist man fasziniert von Puppen.

Wir haben früher bereits gesehen, dass auch bei Verben, die mit avere konjugiert werden, das Partizip Perfekt flektiert wird, wenn diesem ein Akkusativobjekt vorausgeht.

Beispiel 
A: Hai visto Maria?
B: Sì, l' ho vista.
A: Hast du Maria gesehen?
B: Ja, ich habe sie gesehen.

Diese Logik wird auch beim si impersonale aufrechterhalten. Wenn das Verb normalerweise mit avere konjugiert wird, wird das Partizip Perfekt flektiert, stimmt in Genus und Numerus mit dem voranstehenden Akkusativobjekt überein.

Beispiel 
Non la si è vista mai. <=> Man hat sie nie gesehen.
Li si è mangiati. <=> Man hat sie gegessen.
Le si è viste. <=> Man hat sie gesehen.

Also, das muss man sich jetzt mal auf der Zunge zergehen lassen. Das "si impersonale" ist überhaupt kein Reflexivpronomen, sondern heißt im Grunde schlicht "man". Trotzdem wird mit "essere" konjugiert", wie beim "si passivante". Das ist das erste. Ganz dick kommt es dann. Ist ein Verb involviert, das normalerweise mit "avere" konjugiert wird, dann gelten in Bezug auf das vorangestellte Akkusativobjekt die gleichen Regeln, wie wenn da tatsächlich "avere" stünde, das Partizip Perfekt stimmt in Genus und Numerus mit dem voranstehenden Akkusativobjekt überein.

Fassen wir die Skurrilitäten rund um das "si impersonale" nochmal zusammen, erhalten wir folgendes Tableau.

Si impersonale bei Verben die mit avere konjugiert werden

Si è visto. <=> Man hat gesehen.
Merkwürdigkeiten: Dies si ist überhaupt kein Reflexivpronomen, es heißt schlicht "man", folglich läge auch keine Notwendigkeit vor, mit essere zu konjugieren. Das sehen die Italiener aber nun mal nicht so.

Si impersonale bei Verben die mit essere konjugiert werden

Si è arrivati tardi. <=> Man kam zu spät.
Si è contenti. <=> Man ist zufrieden.
Merkwürdigkeiten: Wie im vorigen Beispiel auch, wird mit essere konstruiert. Da das Verb aber normalerweise mit essere konjugiert wird, normalerweise also eine Anpassung des Prädikatsnomen erfolgt, sei dieses ein Partizip Perfekt, ein Adjektiv oder ein Substantiv, so erfolgt auch hier eine Anpassung. Das Partizip Perfekt steht im Plural, weil das Indefinita si, das bei dieser Konstruktion dem deutschen man entspricht, Plural ist.

Si impersonale bei vorangestelltem Akkusativobjekt

Wir wissen bereits aus früheren Kapiteln, dass das Partizip Perfekt in Genus und Numerus mit einem vorangestelltem Akkusativ Objekt übereinstimmen muss. Dies ist auch beim si impersonale der Fall.
Merkwürdigkeiten: Ist das Akkusativobjekt li bzw. le, also Plural, dann können Sie hin und wieder hören, dass auch das Verb im Plural steht (Li si sono visti. <=> Man hat sie gesehen). Diesem Beispiel sollte man aber nicht folgen, denn li bzw. le sind Akkusativobjekte und Akkusativobjekte regieren das Verb nicht. Diese Variante dürfte also eher schlicht falsch sein. Der Fehler tritt wohl auf, weil die Sprecher den grammatikalischen Unterschied zwischen diesen beiden Konstruktionen nicht erkennen.

richtig: Si guadagnano soldi.
=> richtig: Sie verdienen sich.
falsch: Li si sono visti. (???)
richtig: Li si è visti.
=> falsch: Sie sehen sich. (???)
=> richtig: Man sieht sie.

Bei "Si guadagnano soldi" haben wir ein si passivante, bei "Li si sono visti" aber ein si impersonale. Der Fehler entsteht, wenn man "Li si sono visti" wie ein si passivante auffasst, das Personalpronomen im Akkusativ "Li" als Subjekt des Satzes sieht. Das geht aus zwei Gründen nicht. Subjekt eines si passivante kann nie ein Personalpronomen im Akkusativ sein. Zwar wird beim si passivante das, was eigentlich das Akkusativobjekt des Satzes wäre zum Subjekt des Satzes, das geht aber dann nicht, wenn es sich um ein Personalpronomen im Akkusativ handelt. Denn ein Personalpronomen im Akkusativ ist und bleibt ein Akkusativ, der regiert das Verb nie. Zweitens stellt sich die Frage, wie man eine Konstruktion vom Typ "Li si sono visti" überhaupt übersetzen soll. "Si sono visti" alleine ergibt "Sie sehen sich", das "Li" kann man nicht unterbringen. Auch hier erkennt man, dass es sich um einen Akkusativ handelt und nicht um das Subjekt des Satzes. Interpretiert man die Konstruktion "Li si sono visti" als si passivante, ist die Konstruktion nicht übersetzbar. Es handelt sich also um ein "si impersonale" und Subjekt ist "si". Dann haben wir "Si è visti", das ergibt "Man sah". Und dann brauchen wir tatsächlich noch ein Akkusativobjekt. Und das ist dann eben das Personalpronomen im Akkusativ. "Li" ist also sowohl inhaltlich wie auch formal ein Akkusativ, dieser regiert das Verb nicht und die Konstruktion "Li si sono visti" ist falsch, auch wenn man sie gelegentlich hören kann.

La si è vista. <=> Man hat sie (weiblich / singular) gesehen.
Li si è visti. <=> Man hat sie (männlich / Plural) gesehen.
Le si è viste. <=> Man hat sie (weiblich / Plural) gesehen.





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